Bedeutung der Figuren beim Bleigießen (Wachsgießen, Zinngießen)

Bleigießen zum Orakeln und Genießen

Irgendwie muss am Silvesterabend die Zeit rumgekriegt werden, bis man endlich mit Sektkorken- und Feuerwerksknallerei das neue Jahr zu 365 glücklichen Tagen verdonnern kann. Nach der üblichen Völlerei deshalb weg mit allen kalten Platten und her mit den heißen Sachen, damit zum spannenden Teil des Abends übergegangen werden kann. Sobald die ersten Wachs- oder Zinntropfen im Wassertopf zu einer Figur verzischen, darf in die Zukunft geblickt werden.

Bleigießen, Wachsgießen, Zinngießen

Alte Kamellen in neuem Anstrich

Schon vor langer Zeit haben die Babylonier und Griechen gerne mit dem Feuer gespielt, nicht nur an Silvester, sondern vor wichtigen Ereignissen. So wollte man damals wissen, wie gut oder schlecht die nächste Schlacht geschlagen wird, ob eine reichliche Ernte wahrscheinlicher ist als magere Ausbeute und wollte auf die bleigießerische Art sogar Krankheitsursachen herausfinden. Heutzutage hierzulande geht es aber mehr um das pure Vergnügen.

Neujahres-Neugier nach alter Sitte

Gerade dann, wenn die 365 Tage noch ganz leer und verheißungsvoll vor unserer Nase liegen, wollen wir sie mit glücklichen Ahnungen füllen. Welche Symbole Gutes vorhersagen und was für Figuren Schlechtes andeuten, das wissen die meisten schon, aber größtenteils sind die Objekte ja nicht auf Anhieb zu erkennen. Dann fängt der Spaß erst richtig an, jeder wird nämlich in seinen Erguss das bestmögliche Omen hineinfantasieren wollen.

Hund, Katze, Maus oder nach was sieht’s denn aus?

"Ich sehe was, was du nicht siehst" könnte das Deutungs-Spiel beim Bleigießen heißen, denn die Erkenntnis liegt im Auge des Betrachters. Während für die eine ein Phallus-Symbol ersichtlich ist, das fürs kommende Jahr ein erfülltes Sexleben verkündet, erblickt der andere vielleicht einen Löffel, den der Gießer im Laufe des Jahres abgeben wird. Natürlich ist das alles nicht so ernst gemeint und Spaß muss schließlich sein.

Vorsicht heiß, aberwitzig und spritzig!

Wer hier nicht gut aufpasst, der kann sich ganz leicht nicht nur die Finger, sondern auch den Mund verbrennen. Lässt man das flüssige Blei aus zu großer Höhe ins Nasse plumpsen und kriegt Spritzer ab oder versengt sich an der Kerzenflamme, bilden sich schmerzhafte Blasen. Es passiert aber auch leicht, dass einem eine freche Bemerkung mit spitzer Zunge über die Lippen flutscht, die hitzige Wortgefechte entfacht und wegen der man beinahe in der Wasserschüssel ersäuft wird!

Ganz schön einfach und einfach nur schön

Es ist erstaunlich wenig Aufwand für so viel Vergnügen. Man braucht nur:
- eine standfeste Kerze
- wächserne Wackel-Kandidaten stecke man einfach in ein Glas voll nassem Sand.
- Wachs oder Zinn (Blei ist nicht mehr erlaubt)
- einen Löffel, in dem man selbiges zum Schmelzen bringt
- eine Schüssel mit kaltem Wasser - wenn Oma sie kurz davor für ein Fußbad gebraucht hat, ist ja noch welches drin
- etwas Brandsalbe und hautfreundliches Pflaster

Jeder ist seines Glückes Bleigießer

Man muss nicht die Suppe auslöffeln, die man sich eingebrockt hat, sondern die Brocken werden hineingelöffelt und sollen gefälligst ein Hoffnungssymbol herzeigen, weil uns sonst die Zukunft nicht schmeckt. Wer ein geschicktes Händchen hat, kann vielleicht das gute Ergebnis beeinflussen, aber nur den Mitspielern mit viel Fantasie und Überzeugungskraft gelingt es immer, aus dem unförmigsten Klumpen das Beste herauszulesen.

Anekdötchen und andere Peinlichkeiten

Mit den Bleigieß-Utensilien werden jedes Jahr wieder ein paar alte Geschichten aufgetischt, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Ob Tante Anneliese das Gebiss in den Wasserbottich geplumpst war, die Zwillinge partout gleichzeitig ihr Blei schmelzen wollten und im ganzen Haus keine zweite Kerze aufzutreiben war, oder Nachbar Rudi angesäuselt den Heimweg nicht mehr fand und drei Straßen weiter von der Polizei aufgegriffen wurde - schön war's!

Wenn die Liebe ins Wasser fällt

Es war einmal eine lustige Gruppe junger Leute, allesamt zwar eigentlich Singles, aber insgeheim wurde da schon das eine oder andere Auge auf einen Wunschkandidaten geworfen. Unter dem Motto: "Man muss die Ringe gießen, solange das Herz heiß ist" haben sie sich frohgemut daran gemacht, das Orakel sprechen und selbiges die Beziehungen knüpfen zu lassen. Natürlich war nicht zu erwarten, dass ehesymbolische Schmuckstücke haufenweise dabei herauskommen, deshalb war die ganz einfache Spielregel, dass immer die zwei ähnlichsten Erzeugnisse zur Paarung führen mussten. Und was die Prophezeiung zusammengefügt hat, durfte der Mensch nicht scheiden - bis zum nächsten Silvester. Das Ergebnis: Zwei uneheliche Kinderchen, eine Hochzeit, mehrere Eifersuchtsdramen mit teilweise sehr unschönem Ausgang - ein Teilnehmer ist noch in Haft - und fortan sehr gemischte Gefühle gegenüber der Bleigieß-Tradition.


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